Versicherungs-Aktien: Das letzte Value-Schnäppchen an der Wall Street?

Kolumne Tim Schäfer

Seit acht Jahren stürmt die Wall Street nach oben. Die Finanzkrise war im Rückblick eine Goldgrube. Wer damals Mut hatte, ist reichlich belohnt worden. Der Dow-Jones-Index hat sich seit dem Tiefpunkt im März 2009 verdreifacht. Etliche Branchen werden schon fürstlich bewertet. Immer mehr Experten warnen vor der bevorstehenden Korrektur. Nobelpreisträger Robert Shiller warnt schon seit Monaten vor einem Aktien-Hype. Aber die Börse lässt sich nicht Timen. Selbst Shiller gibt zu, dass die Börse trotz hoher Bewertungen weitere drei Jahre phantastisch laufen kann. Daher ist mein Rat: Buy and Hold. Kauft Aktien oder ETFs und lasst diese Dekaden lang ruhen. Und kauft stetig zu. Wer Geduld hat, wird an der Börse belohnt. Denn die Zeit bringt die Rendite.

Es gibt noch immer Branchen und Konzerne, die deutlich unterbewertet sind. Nicht in die Puschen kommt zum Beispiel AIG, einer der größten Versicherer der Welt. Die Aktie notiert bei 61 USD. Das liegt 20% unterhalb des Buchwerts. Vorstandschef Peter Hancock trat auf Druck von Großaktionär Carl Icahn zurück. Bis ein Nachfolger gefunden ist, bleibt der 58-jährige noch an Bord. Milliardeninvestor Icahn macht Druck, weil er von den Ergebnissen der New Yorker Assekuranz enttäuscht ist. Icahn stieg 2015 bei AIG ein. Er wollte den Titan in drei Einheiten aufteilen. Stattdessen verfolgte Hancock einen Zwei-Jahres-Turnaround-Plan. Icahn ist damit jedenfalls nicht zufrieden. Er möchte eine schnellere Kurserholung sehen.

Icahn sitzt auf einem Aktienpaket von über 45 Millionen Aktien. Der Börsenaltmeister hält 4,4% des Grundkapitals des traditionsreichen Versicherers. Der Gegenwert des Aktienpakets beträgt 3 Mrd. USD. Mit einer Bewertung unterhalb des Buchwerts und einer Dividendenrendite von 2% hat die Aktie durchaus ihren Reiz.

Ruhiger verläuft die Story des Lebensversicherers MetLife. Hier winken 3,1% Dividendenrendite. Die Aktie notiert 15% unterhalb des Buchwerts. Nicht nur überm großen Teich werden die Aktien aus der Branche gemieden. Auch hierzulande. Die Allianz-Aktie kletterte zum Beispiel in den vergangenen 10 Jahren um lausige 9%. Die Münchener werden bloß mit einem KGV von 11 gehandelt. Allein die Dividendenrendite beläuft sich auf über 4%. Nur leicht über dem Buchwert notiert der Kurs.

Ähnlich sieht das Dilemma bei der Münchener Rück aus. Hier erreicht die Dividendenrendite fast 5%. Das KGV beträgt 11. Anleger gehen auf Distanz. Die Riesen haben viele Probleme. Ein Problem ist: Sie können ihren Float, also ihre Prämieneinnahmen, nicht wirklich rentabel investieren. Anleihen bringen kaum Rendite. Die Versicherungsmanager haben nicht die Weisheit und Weitsicht von Warren Buffett, der die Prämien seiner Versicherungskonzerne äußerst geschickt in Value-Aktien investiert. Jedenfalls wissen die Konzerne nicht, wo sie ihr Geld anlegen sollen. Solange das Zinsniveau im Keller ist, ist kein Ausweg in Sicht. Auch sind ihnen die Hände gebunden. So dürfen sie nur begrenzt ins Risiko gehen.

Eine andere Herausforderung ist der technologische Fortschritt. Zum Beispiel wird autonomes Fahren dazu führen, dass es deutlich weniger Unfälle auf den Straßen geben wird. Insofern werden Autoversicherungen bald weniger zu tun bekommen. Sie werden stark an Bedeutung verlieren.

Ein anderes Problem für die Titanen sind Computer. Allianz, Münchener Rück, Hannover Rück, Talanx, Swiss Re arbeiten noch wie vor 100 Jahren. Es hat sich am Kerngeschäft wenig geändert. Kunden versichern sich gegen Risiken. Kommt es zum Schaden, erstatten ihnen die Versicherungen in Form von Geld den Schaden (wenn man als Kunde glücklich ist). Der ganze Prozess läuft über menschliche Entscheidungsträger. Mitarbeiter bewerten das Risiko, das versichert wird. Sie legen den Preis fest. Kommt es zur Schadensmeldung, beschäftigen sich wiederum Menschen damit. Ein riesiger Apparat kommt in Bewegung. Der Vertrieb ist überwiegend in menschlicher Hand. Dabei könnten heutzutage viele Jobs von Software erledigt werden. Die Allianz hat 140.000 Mitarbeiter. Die Münchener Rück hat 43.000. Die Zahl der Beschäftigten bleibt bei der Münchner Rück seit geraumer Zeit auf hohem Niveau - und das trotz des digitalen Wandels, was erstaunlich ist. Die Kolosse weigern sich offensichtlich, sich zu modernisieren. Es sind schlafende Riesen. Sie hätten Potential, doch wagen sie sich nur zögerlich. Sie scheinen Angst vor dem Fortschritt zu haben. Sie sitzen wie ein Kaninchen vor der Schlange und wissen nicht, was sie tun sollen.

Ein weiterer Hemmschuh ist die Preistransparenz durch das Internet. Durch Vergleichsportale sind die Preise am Sinken. Das drückt die Marge der Anbieter. Entweder positionieren sich die Anbieter als Discounter oder aber als Premiumanbieter. Doch manch ein Premiumanbieter verhält sich bei der Schadensregulierung nicht fair. Gerade wenn es um hohe Schadensfälle geht, müssen sich Kunden zuweilen jahrelang durch Gerichtsprozesse quälen. Das bedeutet keine gute PR. Gewiss ist Versicherungsbetrug ein großes Problem, mit dem sich die Anbieter nebenbei herumschlagen müssen. Betrüger verteuern die Prämien für jedermann unnötig. Aber auch hier kann der Fortschritt helfen. Mithilfe von Algorithmen kann eine Versicherung prüfen, ob ein Schaden tatsächlich entstanden ist und ob der Anspruch berechtig ist oder nicht.

Trotz des Wandels werden es die Titanen wohl schaffen zu Überleben. Obgleich die Sorge selbst unter Profis bleibt, ob das alte Modell überlebensfähig ist. Überleben wird sicherlich nur, wer sich schnell genug anpasst. Das werden die großen Adressen vermutlich schaffen. Nur müssen sie aufpassen, keine Zeit zu verspielen. Fintechs können ihnen die Butter vom Brot nehmen. Das gilt gleichfalls für die Großbanken.

Noch ist die Zahl der Endkunden so groß, dass es ihnen gut geht. Doch kann sich das Blatt wenden. Autonome Fahrzeuge werden ihnen eine große Beule bescheren. Darin sind sich Fachleute einig. Autoversicherungen werden die Felle davon schwimmen. Das hat selbst Warren Buffett zugegeben, dessen Direktversicherer Geico stark vom Autogeschäft anhängt.

Die Dinos müssen sich jedenfalls etwas einfallen lassen. Sie müssen sich modernisieren und überflüssiges Personal abbauen. Sie müssen schlanker werden. Sie müssen den Prozess vereinfachen: Vom Vertrieb über den Abschluss bis hin zur Schadenregulierung. Es lässt sich dank der Modernisierung auch das Leben der Versicherten vereinfachen.

Two Sigma, ein Quant-Hedgefonds aus New York, setzt auf Algorithmen, wenn es darum geht, versicherungstechnische Risiken und Prämien festzulegen. Die Berliner Firma Simplesurance setzt auf den Vertrieb per Internet. Das Startup bietet zum Beispiel eine Versicherung zu jedem Kauf im Internet an. Wer beispielsweise ein Fahrrad oder Fernseher im Internet erwirbt, kann gleichzeitig passend dazu eine Versicherung abschließen. Die Allianz hat sich nun an den Berlinern beteiligt. Immerhin ein wenig Fortschritt beim größten Versicherer Europas. Es ist höchste Eisenbahn, dass mehr passiert.

 
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