Optionspionier und Fliegerass – Joe Ritchie
Business Week bezeichnet ihn als einen der hellsten Köpfe des Optionsgeschäftes. Kaum jemand hatte mit seinen innovativen Ideen größeren Einfluss auf die Entwicklung der hochkomplexen Optionsmärkte als Joseph Ritchie; und das, obwohl der ehemalige Busfahrer nie einen fortgeschrittenen Kurs in Mathe besuchte. Lesen Sie hier die Geschichte des älteren Ritchie-Bruders, der es gar zum Berater eines Präsidenten schaffte.
Joseph Ritchie wurde 1947 in den USA geboren. Wie auch sein Bruder Mark verbrachte Joe die Jahre zwischen 1957 und 1961 in Afghanistan, da die Eltern der angehenden Traderstars dort Lehraufträge zu erfüllen hatten (die Mutter war Englischlehrerin, der Vater unterrichtete Bauingenieurswesen). Nach der High School wechselte Joe Ritchie an das Wheaton College in der gleichnamigen Stadt im US-Bundesstaat Illinois, um dort Philosophie zu studieren. 1969 erhielt er seinen Abschluss. Den Einstieg ins Berufsleben fand Ritchie dann als Busfahrer für den Verkehrsbetrieb der Stadt Chicago. Seine zweite Station war ebenfalls fernab der Tradingräume: er arbeitete als Gefängniswärter für das Cook County Jail. 1970 wechselte Ritchie erneut den Arbeitsplatz und heuerte als Programmierer bei Arthur Anderson an. Aber auch hier war sein Engagement nur von kurzer Dauer.
1973 schnupperte Ritchie dann das erste Mal Börsenluft und begann als Arbitrageur im Silbermarkt. Seine Aufgabe bestand darin, die New Yorker Börse und die Chicago Board of Trade (CBOT) bei Preisdifferenzen im Silbergeschäft zu arbitrieren. Ritchie verstand es bereits damals, das Geschäft möglichst effizient zu gestalten. So stellte er nur die fähigsten Telefonisten ein und sorgte mittels hoher Wertschätzung und einem Anreizsystem dafür, dass er stets schneller im Abschluss von Arbitrage-Geschäften war als der Rest der Händler. Diesen Fokus auf gutes Personal sollte Ritchie bis in die Gegenwart beibehalten.
Soy Bean Crush
Da die Volatilität im Silbermarkt Mitte der 1970er Jahre zurückging und mit ihr auch die Arbitrage-Möglichkeiten, spezialisierte sich Ritchie auf den Handel mit Soy Bean Crush. Dabei handelt man Sojabohnen und deren Folgeprodukte (Sojamehl und Sojaöl). Die Vorgehensweise war damals wie folgt: sind die Preise für die Sojabohnen niedrig und für die Sojabohnenprodukte relativ hoch, kauft der Händler die Bohnen und verkauft (shortet) gleichzeitig Sojamehl und Sojaöl. Sind wiederum die Preise für Bohnen hoch und für die Produkte niedrig, ist das Vorgehen genau entgegengesetzt. Diese Trades sind durch die Geschäfte der großen Sojamühlen motiviert und haben folgenden Hintergrund: sind die Preise wie im ersten Fall für Bohnen niedrig und für die Produkte hoch, kaufen die Mühlen günstig die Bohnen ein, verarbeiten diese und verkaufen Sojamehl und Sojaöl. Damit wird das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage verändert. Sojabohnen werden verhältnismäßig teurer und gleichzeitig sinkt der Preis für Mehl und Öl, da sich die Angebotsmenge erhöht.
Nun zum Gegengeschäft: ist der Preis für die Bohnen bereits relativ hoch und für die Produkte niedrig, werden die Sojamühlen nicht tätig und die geringe Nachfrage nach Sojabohnen sorgt für einen Preisverfall, während das sinkende Angebot an Mehl und Öl für einen Preisanstieg sorgt.
Joe Ritchie war auch mit dieser Art des Tradings recht erfolgreich, allerdings hatte er ein großes Problem. Seine Firma hatte ihm nach Ende des Silbergeschäfts einen Knebelvertrag aufgedrückt, sodass Ritchie die Gewinne aus dem Geschäft mit Soja 50 zu 50 mit seinem Arbeitgeber teilte, während er allein für alle Verluste einstand. Ein denkbar schlechter Deal, den er ausschließlich aus Loyalität zu seinem alten Arbeitgeber einging.
CRT
Allerdings war diese Vereinbarung nicht auf Dauer tragbar, sodass sich Joe Ritchie 1977 zusammen mit seinem kleinen Bruder Mark und zwei weiteren Händlern selbstständig machte. Sie gründeten die Firma Chicago Board Crushers, welche kurze Zeit später in Chicago Research and Trading (kurz: CRT) umbenannt wurde. Eine ausführlichere Erklärung der CRT finden Sie hier. Erzählungen zu Folge war Joe Ritchie zu dieser Zeit so pleite, dass er sich Anzüge leihen musste und sein Schreibtisch aus zwei Kisten bestand, über die er eine alte Tür legte.
Das Brot- und Buttergeschäft des CRT waren die Identifizierung und das Ausnutzen von Fehlpreisungen speziell an den Optionsmärkten. Da die Optionsmärkte in den 1970er und 1980er Jahren ineffizient waren, konnte man recht große Gewinne aus dem Markt ziehen. Ursächlich für den Erfolg war, dass das Black-Scholes-Modell zur Berechnung von Optionspreisen einige Lücken aufwies und Joe Ritchie (ein Naturtalent in Mathematik) und sein Team in der Lage waren, diese Lücken zu finden und eigene Modelle zu entwerfen, die weitaus genauere Preisberechnungen erlaubten. So misst das Black-Scholes-Modell beispielsweise der Wahrscheinlichkeit von extremen Preisbewegungen zu wenig Gewicht bei; sprich: die reale Preisverteilung entspricht nicht den theoretischen Wahrscheinlichkeitskurven des Modells. Das CRT entwarf ein eigenes Modell, das viel näher an der Realität arbeitete und somit genauere Preise für Optionen ermittelte.
Da auch andere Marktteilnehmer diese Ineffizienzen auszunutzen begannen, schrumpfte das Ertragspotenzial nach und nach, da der Wettbewerb härter wurde. Allerdings wurde auch das CRT immer kompetitiver und man suchte nach neuen Fehlpreisungen. Dabei war man der Konkurrenz aufgrund der guten Teamarbeit und der hohen Motivation der Mitarbeiter stets eine Nasenlänge voraus. In seiner Blüte beschäftigte das CRT mehr als 700 Mitarbeiter und hatte tägliche Umsätze von mehr als USD 2,5 Mrd. Mit seinem Engagement in den Optionsmärkten veränderte Ritchie den Handel mit diesen Instrumenten wie kein Zweiter und gab über mehr als ein Jahrzehnt die Richtung vor, in welche sich die Branche entwickelte.
Exit
1993 verkaufte Ritchie das CRT für USD 225 Mio. an die Nations Bank, welche heute zur Bank of America gehört. Noch im selben Jahr gründete er die Firma Fox River Partners LLC, deren Vorstand er noch heute ist. Das Geschäftsmodell entspricht dem des CRT.
Als Nebenprojekt gründete Ritchie 1987 ein russisch-amerikanisches Joint Venture namens JV Dialogue. Aufgrund des kalten Krieges war dieses Unterfangen sehr heikel und mit einigen Hürden verbunden. Das Unternehmen agierte als Bank, war im Immobiliengeschäft tätig und bot gar Architekturleistungen an. Der größte Clou war allerdings die Rolle, die das Unternehmen nach dem Zusammenbruch der UdSSR ergatterte. Man hatte nämlich einen Vertrag als exklusiver Vertreiber von Microsoft-Produkten im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion abgeschlossen. Das JV Dialogue beschäftigte bis zu 5.000 Mitarbeiter. Des Weiteren wurde Ritchie geschäftlich in Japan aktiv.
Auch sozial engagiert sich Joe Ritchie sehr stark und agiert speziell in Afghanistan und Ruanda. Dort berät er sogar den amtierenden Präsidenten.
Sein Herz gehört der Lüfte. So ist Ritchie ein leidenschaftlicher Flieger und brach einst sogar einen transkontinentalen Geschwindigkeitsrekord mit seinem Privatjet. Ritchie hat zehn Kinder.
Zitate
- "Mein Argument ist, dass dort draußen eine Anzahl an Technikern mit denselben Informationen tradet und die Erfolgsverteilung davon abhängt, wer diese Informationen besser nutzt. Warum sollte das mit Fundamentaldaten anders sein?"
- "Nur weil alle Informationen im Markt sind, heißt das nicht, dass ein Trader diese nicht besser nutzen kann als ein Anderer."
- "Ja, der Markt wurde viel kompetitiver, aber wir auch. Solange wir ein bisschen besser als die Konkurrenz sind, wird es immer gute Profitmöglichkeiten geben."
- "Das würde einiges erklären; setzt aber voraus, dass die Realität mit der Kurve eines Mathematikers einhergeht. Und das zu glauben kann teuer werden."
- Erfolgreiche Trader sind eher instinktiv anstatt übermäßig analytisch."
- "Du wirst erstaunt darüber sein, wieviel von deinem gesunden Menschenverstand du über den Haufen werfen musst, um dieses Geschäft zu verstehen."
- (Auf die Frage, was er Vertretern der Effiziente-Märkte-Hypothese sagen würde:) "Nun, ich möchte sie nicht entmutigen. Lass sie denken. Sie werden lehren, ich werde traden."
Joseph Ritchie wurde 1947 in den USA geboren. Wie auch sein Bruder Mark verbrachte Joe die Jahre zwischen 1957 und 1961 in Afghanistan, da die Eltern der angehenden Traderstars dort Lehraufträge zu erfüllen hatten (die Mutter war Englischlehrerin, der Vater unterrichtete Bauingenieurswesen). Nach der High School wechselte Joe Ritchie an das Wheaton College in der gleichnamigen Stadt im US-Bundesstaat Illinois, um dort Philosophie zu studieren. 1969 erhielt er seinen Abschluss. Den Einstieg ins Berufsleben fand Ritchie dann als Busfahrer für den Verkehrsbetrieb der Stadt Chicago. Seine zweite Station war ebenfalls fernab der Tradingräume: er arbeitete als Gefängniswärter für das Cook County Jail. 1970 wechselte Ritchie erneut den Arbeitsplatz und heuerte als Programmierer bei Arthur Anderson an. Aber auch hier war sein Engagement nur von kurzer Dauer.
1973 schnupperte Ritchie dann das erste Mal Börsenluft und begann als Arbitrageur im Silbermarkt. Seine Aufgabe bestand darin, die New Yorker Börse und die Chicago Board of Trade (CBOT) bei Preisdifferenzen im Silbergeschäft zu arbitrieren. Ritchie verstand es bereits damals, das Geschäft möglichst effizient zu gestalten. So stellte er nur die fähigsten Telefonisten ein und sorgte mittels hoher Wertschätzung und einem Anreizsystem dafür, dass er stets schneller im Abschluss von Arbitrage-Geschäften war als der Rest der Händler. Diesen Fokus auf gutes Personal sollte Ritchie bis in die Gegenwart beibehalten.
Soy Bean Crush
Da die Volatilität im Silbermarkt Mitte der 1970er Jahre zurückging und mit ihr auch die Arbitrage-Möglichkeiten, spezialisierte sich Ritchie auf den Handel mit Soy Bean Crush. Dabei handelt man Sojabohnen und deren Folgeprodukte (Sojamehl und Sojaöl). Die Vorgehensweise war damals wie folgt: sind die Preise für die Sojabohnen niedrig und für die Sojabohnenprodukte relativ hoch, kauft der Händler die Bohnen und verkauft (shortet) gleichzeitig Sojamehl und Sojaöl. Sind wiederum die Preise für Bohnen hoch und für die Produkte niedrig, ist das Vorgehen genau entgegengesetzt. Diese Trades sind durch die Geschäfte der großen Sojamühlen motiviert und haben folgenden Hintergrund: sind die Preise wie im ersten Fall für Bohnen niedrig und für die Produkte hoch, kaufen die Mühlen günstig die Bohnen ein, verarbeiten diese und verkaufen Sojamehl und Sojaöl. Damit wird das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage verändert. Sojabohnen werden verhältnismäßig teurer und gleichzeitig sinkt der Preis für Mehl und Öl, da sich die Angebotsmenge erhöht.
Nun zum Gegengeschäft: ist der Preis für die Bohnen bereits relativ hoch und für die Produkte niedrig, werden die Sojamühlen nicht tätig und die geringe Nachfrage nach Sojabohnen sorgt für einen Preisverfall, während das sinkende Angebot an Mehl und Öl für einen Preisanstieg sorgt.
Joe Ritchie war auch mit dieser Art des Tradings recht erfolgreich, allerdings hatte er ein großes Problem. Seine Firma hatte ihm nach Ende des Silbergeschäfts einen Knebelvertrag aufgedrückt, sodass Ritchie die Gewinne aus dem Geschäft mit Soja 50 zu 50 mit seinem Arbeitgeber teilte, während er allein für alle Verluste einstand. Ein denkbar schlechter Deal, den er ausschließlich aus Loyalität zu seinem alten Arbeitgeber einging.
CRT
Allerdings war diese Vereinbarung nicht auf Dauer tragbar, sodass sich Joe Ritchie 1977 zusammen mit seinem kleinen Bruder Mark und zwei weiteren Händlern selbstständig machte. Sie gründeten die Firma Chicago Board Crushers, welche kurze Zeit später in Chicago Research and Trading (kurz: CRT) umbenannt wurde. Eine ausführlichere Erklärung der CRT finden Sie hier. Erzählungen zu Folge war Joe Ritchie zu dieser Zeit so pleite, dass er sich Anzüge leihen musste und sein Schreibtisch aus zwei Kisten bestand, über die er eine alte Tür legte.
Das Brot- und Buttergeschäft des CRT waren die Identifizierung und das Ausnutzen von Fehlpreisungen speziell an den Optionsmärkten. Da die Optionsmärkte in den 1970er und 1980er Jahren ineffizient waren, konnte man recht große Gewinne aus dem Markt ziehen. Ursächlich für den Erfolg war, dass das Black-Scholes-Modell zur Berechnung von Optionspreisen einige Lücken aufwies und Joe Ritchie (ein Naturtalent in Mathematik) und sein Team in der Lage waren, diese Lücken zu finden und eigene Modelle zu entwerfen, die weitaus genauere Preisberechnungen erlaubten. So misst das Black-Scholes-Modell beispielsweise der Wahrscheinlichkeit von extremen Preisbewegungen zu wenig Gewicht bei; sprich: die reale Preisverteilung entspricht nicht den theoretischen Wahrscheinlichkeitskurven des Modells. Das CRT entwarf ein eigenes Modell, das viel näher an der Realität arbeitete und somit genauere Preise für Optionen ermittelte.
Da auch andere Marktteilnehmer diese Ineffizienzen auszunutzen begannen, schrumpfte das Ertragspotenzial nach und nach, da der Wettbewerb härter wurde. Allerdings wurde auch das CRT immer kompetitiver und man suchte nach neuen Fehlpreisungen. Dabei war man der Konkurrenz aufgrund der guten Teamarbeit und der hohen Motivation der Mitarbeiter stets eine Nasenlänge voraus. In seiner Blüte beschäftigte das CRT mehr als 700 Mitarbeiter und hatte tägliche Umsätze von mehr als USD 2,5 Mrd. Mit seinem Engagement in den Optionsmärkten veränderte Ritchie den Handel mit diesen Instrumenten wie kein Zweiter und gab über mehr als ein Jahrzehnt die Richtung vor, in welche sich die Branche entwickelte.
Exit
1993 verkaufte Ritchie das CRT für USD 225 Mio. an die Nations Bank, welche heute zur Bank of America gehört. Noch im selben Jahr gründete er die Firma Fox River Partners LLC, deren Vorstand er noch heute ist. Das Geschäftsmodell entspricht dem des CRT.
Als Nebenprojekt gründete Ritchie 1987 ein russisch-amerikanisches Joint Venture namens JV Dialogue. Aufgrund des kalten Krieges war dieses Unterfangen sehr heikel und mit einigen Hürden verbunden. Das Unternehmen agierte als Bank, war im Immobiliengeschäft tätig und bot gar Architekturleistungen an. Der größte Clou war allerdings die Rolle, die das Unternehmen nach dem Zusammenbruch der UdSSR ergatterte. Man hatte nämlich einen Vertrag als exklusiver Vertreiber von Microsoft-Produkten im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion abgeschlossen. Das JV Dialogue beschäftigte bis zu 5.000 Mitarbeiter. Des Weiteren wurde Ritchie geschäftlich in Japan aktiv.
Auch sozial engagiert sich Joe Ritchie sehr stark und agiert speziell in Afghanistan und Ruanda. Dort berät er sogar den amtierenden Präsidenten.
Sein Herz gehört der Lüfte. So ist Ritchie ein leidenschaftlicher Flieger und brach einst sogar einen transkontinentalen Geschwindigkeitsrekord mit seinem Privatjet. Ritchie hat zehn Kinder.
Zitate
- "Mein Argument ist, dass dort draußen eine Anzahl an Technikern mit denselben Informationen tradet und die Erfolgsverteilung davon abhängt, wer diese Informationen besser nutzt. Warum sollte das mit Fundamentaldaten anders sein?"
- "Nur weil alle Informationen im Markt sind, heißt das nicht, dass ein Trader diese nicht besser nutzen kann als ein Anderer."
- "Ja, der Markt wurde viel kompetitiver, aber wir auch. Solange wir ein bisschen besser als die Konkurrenz sind, wird es immer gute Profitmöglichkeiten geben."
- "Das würde einiges erklären; setzt aber voraus, dass die Realität mit der Kurve eines Mathematikers einhergeht. Und das zu glauben kann teuer werden."
- Erfolgreiche Trader sind eher instinktiv anstatt übermäßig analytisch."
- "Du wirst erstaunt darüber sein, wieviel von deinem gesunden Menschenverstand du über den Haufen werfen musst, um dieses Geschäft zu verstehen."
- (Auf die Frage, was er Vertretern der Effiziente-Märkte-Hypothese sagen würde:) "Nun, ich möchte sie nicht entmutigen. Lass sie denken. Sie werden lehren, ich werde traden."