Nach dem tragischen Absturz eines Air-India-Dreamliners mit 260 Todesopfern geriet Boeing (BA) erneut ins Zentrum der Kritik. Der nun veröffentlichte vorläufige Untersuchungsbericht entlastet den Hersteller weitgehend und weist auf menschliches Versagen im Cockpit hin – ein erster Lichtblick für Boeing, dessen Aktie daraufhin zulegen konnte. Doch der Vorfall wirft weiter ernste Fragen zur Sicherheitskultur in der Luftfahrt auf und lässt Zweifel am Reputationswandel des US-Konzerns bestehen.
Sicherheitszweifel und Absturz belasten – Doch Anleger atmen auf
Boeing kämpft seit Monaten mit einer angespannten Nachrichtenlage – von Qualitätsmängeln über Produktionsverzögerungen bis hin zu immer lauter werdenden Fragen zur Sicherheitskultur. Der jüngste Absturz eines Air-India-Dreamliners am 12. Juni 2025 mit 260 Todesopfern verschärfte die öffentliche und regulatorische Aufmerksamkeit erheblich. Für Boeing war der Absturz der weltweit tödlichste seit über einem Jahrzehnt – und ein potenzieller Rückschlag für das ohnehin angeschlagene Vertrauen in das Unternehmen. Doch der am vergangenen Freitag veröffentlichte vorläufige Unfallbericht brachte eine gewisse Entlastung. Die bisherigen Hinweise deuten nicht auf einen Konstruktions- oder Herstellungsfehler bei Boeing oder Triebwerkshersteller GE Aerospace hin. Anleger reagierten prompt und ließen die Boeing-Aktie nach Veröffentlichung des Berichts steigen. Seit dem Tief nach dem Absturz konnte sich Boeing um rund 6 % erholen. Dennoch bleibt die Lage fragil, und die mittelfristigen Aussichten für Boeing hängen nun davon ab, wie transparent, konsequent und glaubwürdig das Unternehmen mit der laufenden Aufklärung umgeht.
Erste Erkenntnisse - Pilotenverwirrung führte zu fataler Triebwerksabschaltung
Der nun veröffentlichte vorläufige Bericht der indischen Flugunfalluntersuchungsbehörde (AAIB) offenbart ein ungewöhnliches Szenario im Cockpit. Unmittelbar nach dem Start des Dreamliners wurden beide Treibstoffkontrollschalter innerhalb einer Sekunde von "RUN" auf "CUTOFF" geschaltet – also abgeschaltet. Dies führte zum sofortigen Schubverlust beider Triebwerke. Zwar versuchten die Piloten offenbar, die Schalter wieder zu aktivieren, doch die Wiederzündung der Triebwerke kam zu spät. Nur 30 Sekunden nach der Verwirrung stürzte das Flugzeug ab. Aufzeichnungen des Cockpit Voice Recorders dokumentieren, dass ein Pilot den anderen fragte, warum der Treibstoff abgeschaltet worden sei – mit der irritierten Antwort: "Ich war das nicht." Es gibt keine Hinweise auf einen technischen Defekt oder äußere Umstände wie Triebwerksbrand oder Systemversagen, die das Abschalten gerechtfertigt hätten. Die zentrale Frage bleibt damit unbeantwortet: Wie konnten die Schalter versehentlich oder unbeabsichtigt umgelegt werden – trotz mechanischer Verriegelung?
Erstmal keine Schuld für Boeing – aber kritische Fragen bleiben offen
Die US-Luftfahrtbehörde FAA und Boeing haben nach Prüfung des vorläufigen Berichts erklärt, dass keine strukturelle Änderung an den Treibstoffschaltern erforderlich sei. Die seit 2018 existierende FAA-Empfehlung zur Überprüfung der Schalterverriegelung sei keine Pflichtvorgabe gewesen. Air India hatte diese Überprüfung nicht durchgeführt. Das AAIB stellte klar, dass das betroffene Flugzeug alle geltenden Lufttüchtigkeitsanforderungen erfüllte, ebenso wie die Triebwerke von GE. Damit sehen sich Boeing und GE aktuell nicht mit regulatorischen Konsequenzen konfrontiert. Auch die FAA hält keine Sicherheitsanweisung für notwendig. Dennoch bleiben Zweifel – unter anderem äußerten Pilotenverbände wie ALPA India Kritik an vorschnellen Schuldzuweisungen an die Crew und fordern vollständige Transparenz bei der Klärung möglicher technischer Schwächen. Solange unklar bleibt, ob menschliches oder technisches Versagen vorliegt, wird das Misstrauen in Teilen der Öffentlichkeit bestehen bleiben – selbst wenn Behörden derzeit keine akute Gefahr sehen.
Ein Unfall mit vielen Ebenen – und ein System unter Druck
Der tragische Absturz hat nicht nur Auswirkungen auf Boeing, sondern wirft auch ein Schlaglicht auf die gesamte Sicherheitskultur in der Luftfahrt. Die indische Luftfahrtbehörde hatte Air India bereits vor dem Absturz mehrfach für Wartungs- und Dokumentationsmängel gerügt. Der Vorfall belastet die laufende Reputationskampagne der Tata Group, die Air India nach ihrer Privatisierung modernisieren will. Auch international wächst der Druck auf Regulierungsbehörden, die Balance zwischen technischer Freiheit und operativer Kontrolle neu zu justieren – insbesondere bei der Interpretation freiwilliger Sicherheitshinweise wie dem FAA-Bulletin von 2018. Dass keine Handlungsanweisungen ausgesprochen wurden, bedeutet nicht automatisch, dass kein Handlungsbedarf besteht. Die laufende Untersuchung wird sich in den kommenden Monaten verstärkt auf die Hardware, das Design der Schalter und die Crew-Routinen konzentrieren müssen.
Kursstabilisierung bei Boeing – doch Reputationsrisiken bleiben bestehen
Für Boeing ist die Entlastung durch den vorläufigen Bericht ein dringend benötigter Lichtblick. Die Aktie reagierte mit einem Kursanstieg auf 230 USD – ein neues 52-Wochen-Hoch. Dennoch ist das Unternehmen nicht über den Berg. Die Unsicherheiten rund um Qualitätssicherung, das Verhältnis zu Behörden wie der FAA und die öffentliche Wahrnehmung bleiben eine Belastung. Zwar erscheint der konkrete Absturz derzeit nicht auf einen systemischen Fehler bei der Boeing 787 zurückzuführen zu sein, doch die Serie von Vorfällen und Rückrufen in den vergangenen Jahren – von der 737 MAX bis zu Zulieferproblemen – hat das Vertrauen stark beschädigt. Der Ausgang der vollständigen Absturzuntersuchung wird entscheidend sein, um endgültige Klarheit zu schaffen. Solange nicht bewiesen ist, dass menschliches Versagen die alleinige Ursache war, bleibt für Boeing ein Restzweifel – und mit ihm ein Risiko für das operative Geschäft in neuen Märkten wie Indien.