Wenn ein US-Präsident Strafzölle in Höhe von 200 % auf importierte Medikamente ankündigt, klingt das zunächst nach einem Albtraum für die Pharmabranche. Doch die Reaktion an der Börse fällt überraschend gelassen aus: Während der breite Markt auf Wochensicht kaum vom Fleck kam, konnte der NYSE Arca Pharmaceutical Index rund 1 % zulegen. Ein paradoxes Bild – doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich eine gewisse Logik.
Gnadenfrist statt Schockreaktion
Donald Trump hatte am Dienstag erklärt, dass Pharmaunternehmen mit einer großzügigen Übergangsfrist rechnen können: "Wir geben den Firmen etwa ein Jahr, vielleicht anderthalb", sagte er im Kabinett. Erst danach sollen die Zölle greifen. Für Analysten ist das mehr als nur ein taktischer Nebensatz. Jefferies etwa rechnet damit, dass sich der zollfreie Import von Medikamenten je nach Startpunkt der Frist bis 2027 verlängern könnte. Und wer geschickt plant, kann durch gezielte Vorratskäufe sogar bis 2028 durchhalten – genug Zeit, um die Produktion schrittweise in die USA zu verlagern.
Produktion zurück in die Heimat
Genau das passiert jetzt. Schon vor der Ankündigung stockten Unternehmen ihre Lager massiv auf – allein aus Irland wurden dieses Jahr Hormonpräparate im Wert von 36 Mrd. USD verschifft, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Parallel dazu laufen Investitionsprogramme zur Produktionsverlagerung an: Eli Lilly etwa plant Werke in den USA für rund 27 Mrd. USD. Zwar dürfte nicht jede Ankündigung am Ende umgesetzt werden, doch der Trend ist klar – US-Pharma zieht zurück in Richtung Heimatmarkt.
Steuererleichterungen machen den Weg frei
Dass dieser Umbau nicht zu einem Gewinnschock führt, liegt auch an Trumps "Big Beautiful Bill". Die Gesetzesinitiative bietet großzügige steuerliche Anreize für Forschung, Investitionen und Fremdkapital. So lassen sich neue Werke günstiger bauen, während Forschungsausgaben sofort abgeschrieben werden können. Für viele Unternehmen wie Merck bedeutet das unterm Strich: Die zusätzlichen Kosten lassen sich eindämmen. Jefferies schätzt, dass der Gewinnrückgang bei Merck durch die Zölle bei lediglich 1 bis 2 % liegen könnte – deutlich weniger als ursprünglich bei einem 25 %-Zollmodell befürchtet.
M&A-Rückenwind und politische Kalkulation
Auch der wiedererstarkte Übernahmehunger in der Branche spricht dafür, dass die Unsicherheit begrenzt ist. Merck hat zuletzt die Übernahme von Verona Pharma im Volumen von 10 Mrd. USD angekündigt. Eli Lilly greift bei Verve Therapeutics zu. Der Tenor: Wenn die Spielregeln klar sind und die Regierung Planungssicherheit signalisiert, bleibt der Kapitalmarkt offen.
Fazit: Drohung mit Wirkung – aber ohne Panik
Trumps Zollkeule zeigt Wirkung – allerdings weniger als Bestrafung, sondern eher als Anstoß für eine Neuausrichtung. Die Branche nutzt die gewonnene Zeit, um sich strategisch neu aufzustellen. Der Umbau kostet, ja – aber er wird durch steuerliche Anreize, Planungsspielraum und politische Klarheit abgefedert. Am Ende könnten sowohl das Weiße Haus als auch die Pharmakonzerne als Gewinner dastehen.